Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Das bisherige Gesetz zum Verbot des Kopftuches für Lehrerinnen in Nordrhein-Westfalen ist verfassungswidrig. Es verletzt muslimische Frauen, die die Ausübung des Lehrerberufes anstreben, in ihren Grundrechten, konkret in ihren Rechten auf freie Religionsausübung und auf Gleichbehandlung.

Und trotz der Tatsache, dass es sich um zwei Fälle aus Nordrhein-Westfalen handelt, hat diese Entscheidung  über zwei Verfassungsbeschwerden muslimischer Frauen, die jeweils mehrere arbeitsgerichtliche Instanzen in ihrem juristischen Kampf um die Berufsausübung als Lehrerin mit Kopftuch an einer öffentlichen deutschen Schule hinter sich hatten, grundsätzliche Bedeutung für ganz Deutschland.

Der 1. Senat rückt mit seinem jetzigen Beschluss im Detail ziemlich deutlich von der Entscheidung des 2. Senats aus dem Jahr 2003 ab, welcher mit seinem damaligen Kopftuch-Urteil das Verbot vom Kopftuch für Lehrerinnen quasi ermöglichte. Damals hieß es im Ergebnis, dass es auf grundrechtlicher Ebene keine Hindernisse für ein solches Verbot gäbe, da das Kopftuch eine Identifiaktion der Lehrerin mit einer Weltanschauung darstelle, die ihrer Stellung als Beamten des Staates widersprechen könne. Die einzelnen Länder müssten ein Kopftuchverbot nur explizit regeln. Bis dahin gab es solche gesetzlichen Regelungen nicht. Hiernach führte eine Reihe von Bundesländern Gesetze ein, mit denen Lerhrern das Tragen bestimmter religiöser Symbole oder Kleidungsstücke verboten wurde. Einige Bundesländer, darunter auch NRW, nahmen sog. christlich-abendländische bzw. auch jüdische Symbole von diesem Verbot aus.

Das Bundesverfassungsgericht stellt aber auch dieses Mal nicht fest, dass ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen im Allgemeinen rechtswidrig ist, sondern lediglich die Rechtfertigung für ein solches Verbot, wonach vom Kopftuch bei Lehrerinnen eine abstrakte Gefahr ausgehe, die den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität beeinträchtigen könne. Diese Rechtfertigung geht zu weit und zu pauschal. Laut 1. Senat könne ein solches Verbot nur mit einer konkreten Gefahr gerechtfertigt werden. Diese juristische Feinheit bedeutet letztlich, dass die betroffenen Lehrerinnen nicht aufgrund des Kopftuches von der Berufsausübung abgehalten werden können, es sei denn es kann im Einzelfall glaubhaft gemacht werden, dass von deren Kopftuch eine Gefahr für Schulfrieden oder Neutralität des Staates ausgehe. Diese Feinheit kann im Einzelfall aber auch viel Streit für betroffene Lehrerinnen, Schulen und Eltern mit sich bringen, wenn die einzelnen Länder sich hierauf einlassen. Es kommt nun auf die Regierungen der Bundesländer an zu entscheiden, ob sie das Kopftuchverbot mit einer neuen Rechtfertigung beibehalten und somit weitere vorprogrammierte Rechtstreitigkeiten riskieren wollen, oder ob sie das Kopftuchverbot komplett abschaffen.

Gerade diese Differenzierung in der Rechtfertigung des Kopftuchverbotes ist es, die diese Entscheidung nicht zu einem Befreiungsschlag werden lässt, und dies trotz doch deutlicher Feststellungen, die den wesentlichen Erwägungen des Beschlusses zu entnehmen sind. Das Bundesverfassungsgericht ist u.a. der Ansicht, dass

  • das Tragen einer sog. religiös konnotierten Bekleidung nicht von vornherin dazu angetan ist, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler zu beeinträchtigen
  • das Recht der Eltern auf (a)religiöse Erziehung ebenfalls nicht hierdurch beeinträchigt wird
  • der staatliche Erziehungsauftrag, der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, zu erfüllen ist, dem Kopftuch bei Lehrerinnen nicht entegegen steht
  • das Tragen des Kopftuches von sich aus keinen missionierenden Effekt hat.

All diese Punkte waren bisher in der einen oder anderen Form sowohl rechtlich, als auch politisch, medial und gesellschaftlich umstritten. Umso genugtuuender ist es wohl, nicht nur für muslimische Frauen, solche Feststellungen zu lesen.

Sehr deutlich wird das Gericht außerdem in der Frage, ob das Kopftuchgebot objektiv dem islamischen Glauben entnommen werden kann. Ein Herr Bosbach beispielsweise möge seine Kenntnisse im Verfassungsrecht auffrischen, denn es kommt, wie jedem Juristen eigentlich bekannt sein sollte, nicht darauf an, was objektiv einer Lehre entnommen werden kann, also auch nicht, was ein „Islamgelehrter“ wie Herr Bosbach dem Islam an Ge- und Verboten entnimmt, sondern was die Anhänger des jeweiligen Glaubens als ihrem Glauben entnehmbare Gebote oder Verbote verstehen und ausleben. Und so verhält es sich auch beim Kopftuch, für das sich viele muslimische Frauen als Ausdruck ihrer Religiösität auf Grundlage ihres eigenen subjektiven Glaubensverständnisses entscheiden.

Das Bundesverfassungsgericht räumt weiterhin mit dem schlicht unfairen und unsachlichen Generaldverdacht auf, Muslimas würden mit dem Tragen des Kopftuches „gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftreten.“ Eine solche pauschale Schlussfolgerung verbiete sich. Und sie verbietet sich nicht nur, sie ist schlicht falsch und und meinen Augen sogar hetzerisch. Es ist für mich kaum erklärlich, wie eine solch plumpe und beleidigende Behauptung, die fern jeder gesellschaftliche und wissenschaftlichen Realität ist, ihren Weg in ein formelles Gesetz finden konnte.

Sehr deutlich zieht der 1. Senat auch endlich einen Schlussstrich unter der Bevorzugung sog. christlich-abendländischer Symbole, z.B. der Nonnentracht, aber auch der jüdischen Kippa, gegenüber islamischen Symbolen. Diese Ungleichbehandlung sei nicht zu rechtfertigen, der entsprechende Passus im Gesetz ist damit nichtig. Es gäbe keinerlei tragfähige Gründe, auch nicht solche, die in der Vorinstanz versucht wurden herzuleiten, die eine solche Ungleichbehandlungen von Anhängern unterschiedlicher Bekenntnisse im öffentlichen Dienst rechtfertigen kann. Dass nun bestimmte Gruppierungen auch gerade wegen dieser Feststellungen Sturm laufen, verwundert nicht, hetzen sie doch mindestens seit 14 Jahren wo und wie sie können gegen das islamische Kopftuchgebot.

Bleibt noch zu erwähnen, dass die Entscheidung mit einem deutlichen Votum von 6 zu 2 Richtern gefällt wurde. Zwei Richter äußerten sich in einem sog. Sondervotum zu der Entscheidung, welches eine enge Bindung zum 1. Kopftuchurteil aus dem Jahr 2003 aufzeigte.

Gerade in der heutigen Zeit, in der viele Muslime in diesem Land tagtäglich persönlichen, aber auch medialen Angriffen, Beleidigungen und gezielter Hetze, nicht nur aus rechtspopulistischer Ecke ausgesetzt sind, und einer Zeit, in der genau diese Muslime eher mit einem baldigen Kopftuchverbot auch für Schülerinnen gerechnet haben, ist diese Entscheidung tatsächlich mehr als nur eine Genugtuung. Denn sie zeigt, dass es in diesem Land, noch denkende Köpfe gibt, die frei von medialem und politischem Einlfuss, allein auf rechtlicher Ebene zu einer Entscheidung kommen können, die alles andere als als mainstream bezeichnet werden kann. Leider verpasst aber das Bundesverfassungsgericht aus dieser Entscheidung einen tatsächlichen Befreiungsschlag zu machen, lässt es den Ländern doch ein kleines Hintertürchen offen. Auf diese kommt es nun an, ob sie im Gleichschritt nun in differenzierterer Form ein Verbot von allen religiösen Symbolen und Kleidungsstücken für Lehrer beschließen, oder ob sie ein solches Verbot für alle abschaffen.

Euer Ali

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