Die Proteste sind gespalten
Und so sind die Lager jetzt eigentlich wieder so aufgeteilt, wie vor den Protesten: Auf der einen Seite Menschen mit sozialen Forderungen, die nach eine Handhabe gegen kriminelle Finanzgeschäfte von Bänkern und Politikern suchen, auf der anderen Seite Anhänger eben dieser Politiker, die sich unter die Protestler mischen und fern der sozialen Forderungen alte Rechnungen, insbesondere mit der Hisbollah, begleichen wollen.
Hierdurch ist die Hisbollah und die Anhängerschaft des Widerstandes insgesamt, also Muslime und Christen, nicht unmittelbar gefährdet, aber latente Gefahren lauern dennoch. Die pro-amerikansichen und faktisch auch pro-israelischen Kräfte im Land à la Gemayel-Familie, Samir Geagea, Walid Joumblatt u.a., hoffen inbrünstig auf den Ausbruch eines innerschiitischen Konfliktes zwischen der Hisbollah, die sich den Kampf gegen Korruption im letzten Wahlkampf auf die Fahnen geschrieben hat, und der anderen großen schiitischen Bewegung, Amal, deren Führungsriege als korrupt gilt. Einige Anhänger der Amal-Bewegung sind in der vergangenen Woche tatsächlich bewaffnet auf die Straße gegangen und haben auf ihre Nachbarn, Freunde und Verwandte eingeschlagen, weil diese die Führung der Amal, u.a. Nabih Berri, und dessen Ehefrau, wegen ihrer fragwürdigen Geschäfte und Vermögenshäufung offen kritsiert, angegriffen und vereinzelt auch schwer beschimpft haben. Dieses Konfliktpotenzial ist natürlich mit ein Grund für die bedachte Wortwahl von Sayyed Nasrallah in seiner Ansprache am vergangenen Samstag (20.10.2019). Ein innerschiitischer Konflikt hilft weder dem Anti-Korruptionskurs der Hisbollah, noch den Schiiten insgesamt, noch dem Libanon. Er wäre ein Triumph für Israel, welches sich entspannt zurücklehnen könnte. Es ist aber auch klar, dass Hisbollah hinter den Kulissen sehr aktiv darum bemüht sein dürfte, bewaffnetes Auftreten von Anhängern der Amal-Bewegung zu unterbinden.
Steuert der Libanon auf einen weiteren Bürgerkrieg zu?
Die Lage scheint unübersichtlich, aber letztlich sind zwei Faktoren entscheidend, und werden sicher auch den Ausgang dieser Proteste maßgeblich beeinflussen:
1. Die Proteste werden nicht angeführt durch eine Gruppe oder durch eine Person.
2. Die letztendlichen Forderungen der Protestler sind nicht klar formuliert.
Sollten die Protestler nicht zumindest einen dieser Faktoren zeitnah klären und in den Griff bekommen, besteht die, aus meiner Sicht, große Gefahr, dass sich die Proteste im Laufe der Zeit im Sande verlaufen werden. Ich glaube, nicht dass uns der Ausbruch eines bewaffneten Konfliktes ähnlich wie in Syrien, gar eines Bürgerkrieges, im Libanon bevorsteht. Diese Zeiten dürften die Libanesen hinter sich gelassen haben, insbesondere die jüngere Generation dürfte hieran keinerlei Interesse haben.
Die Proteste haben aufgrund der vielen Neuerscheinungen ein großes Potenzial das gesamte politische, wirtschaftliche, finanzielle und soziale System des Libanon umzuwälzen, aber für die praktische Umsetzung fehlt es leider an Struktur und Einheitlichkeit. Ich denke, wenn die Protestler sich auf ein stufenweises Vorgehen einigen würden, könnten sie sehr viel mehr erreichen, als ihnen vielleicht derzeit bewusst ist.
Dieser Plan könnte drei Stufen des Vorgehens bzw. der Zielsetzung beinhalten: In einer ersten Phase kämpft man um die Umsetzung wichtiger sozialer und wirtschaftlicher Reformen um die Lebenssituation aller Libanesen zumindest kurzfristig und effektiv zu verbessern. Auf einer zweiten Stufe sorgt man dafür, dass die gesamte politische Elite und deren Familien, welche für die Krise verantwortlich sind, aus wichtigen Ämtern entfernt, jeglicher Macht enthoben und zur Verantwortung, sowohl politisch als auch juristisch, gezogen werden. In einer dritten Phase kümmert man sich um eine Änderung des politischen Systems und der konfessionellen Aufteilung, und entkoppelt das Staatssystem von konfessionellen Vorgaben (maronitischer Staatspräsident; sunnitscher Premierminister; schiitischer Parlamentspräsident) wie sie zur Zeit noch bestehen.
Jeder Libanese sollte das Recht haben, entsprechend seiner Fähigkeiten jedes Amt im Staat erreichen zu können, unabhängig von seiner Konfession. Im Rahmen eines solchen Vorgehens wäre es tatsächlich nicht vonnöten aktuell einen Sturz der Regierung zu fordern oder herbeiführen zu wollen. Erste Sofortmaßnahmen kann nur eine funktionierende Regierung ergreifen. Ein politisches Vakuum oder die Erwartung von Neuwahlen würden nur Zeit kosten. Zeit die kein Libanese mehr hat, zumal man ja auch irgendwann wieder zusammen mit Verwandten und Freunden, bei Tee und Argilé, und mit WhatsApp auf der Veranda im Garten einfach nur das Leben genießen möchte.
Ein Gedanke zu “Proteste im Libanon – Genug ist genug (Teil 3 von 3)”